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Atomare Endlagerung im Spannungsfeld zwischen fachlichen Notwendigkeiten und gesellschaftlichen Realitäten

Anfang 07.02.2003
Ort Evangelische Akademie Loccum
Redner Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz

Zur aktuellen Debatte der Finanzierung der Entsorgung radioaktiver Abfälle hat sich das BfS häufig positioniert. Unter anderem äußerte sich Präsident Wolfram König bereits 2003 zur Thematik. "Von wesentlicher Bedeutung sowohl für die Neugestaltung der Endlagersuche als auch für größtmögliche Sicherheit und den Strahlenschutz bei der Endlagerung", sagte er, "ist eine gesicherte Finanzierung."

Atomare Endlagerung im Spannungsfeld zwischen fachlichen Notwendigkeiten und gesellschaftlichen Realitäten

Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung Wolfram KönigWolfram König, Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung Quelle: BASE

Rede von BfS-Präsident Wolfram König auf der Tagung "Atommüll und sozialer Friede - Strategien der Standortsuche für nukleare Endlager", Evangelische Akademie Loccum, 7. bis 9. Februar 2003

Die Endlagerung radioaktiver Abfälle ist wegen der enormen langfristigen Risiken - abweichend vom Verursacherprinzip - keine Aufgabe der Betreiber von Kernkraftwerken und anderen Erzeugern solcher Abfälle, sondern eine Aufgabe des Bundes. Der Gesetzgeber hat die Errichtung und den Betrieb von Anlagen des Bundes zur Endlagerung radioaktiver Abfälle im Atomgesetz dem Bundesamt für Strahlenschutz übertragen. Die Entsorgung der radioaktiven Abfälle - deren letzter Schritt die Endlagerung ist - bildet einen Kern des gesellschaftlichen Konflikts um die Nutzung der Atomenergie.

Entwicklung der deutschen Endlagerdiskussion

Die Wahrnehmung der Aktivitäten in Deutschland zur Endlagerung radioaktiver Abfälle ist bei vielen Menschen auch von sehr persönlichen Erlebnissen geprägt. Loccum als Tagungsort mit einer eigenen Geschichte in der Auseinandersetzung mit der Endlagerung sollte deshalb auch Anlass geben, selbstkritisch zurück zu blicken. Es sind Wege eingeschlagen worden, die gescheitert sind, es sind Ideen entwickelt und Projekte durchgeführt worden, die nicht nur nukleare Abfälle, sondern auch viele Fragen hinterlassen. Die Rückholbare Endlagerung, 1978 hier in Loccum von dem späteren Forschungsminister Volker Hauff - damals noch als DGB-Vertreter - in die Diskussion gebracht, gehört zu einer solchen Idee. Aber es hat auch schon vor über 20 Jahren Verfahrensvorschläge für eine systematische Vorgehensweise bei der Suche und Errichtung eines Endlagers gegeben, deren Inhalte heute wieder aktuell sind.

Da der Blick zurück zumindest helfen kann, die Wege, die nach vorn weisen sollen, besser hinsichtlich ihrer Chancen und Risiken einzuschätzen, möchte ich ein Schlaglicht auf die Entwicklung der deutschen Endlagerdiskussion werfen.

Beginn der Endlagerung und Endlagerforschung in den sechziger Jahren

Begonnen hat die Geschichte der Endlagerung und Endlagerforschung in Deutschland in den sechziger Jahren. 1963 empfiehlt der Präsident der Bundesanstalt für Bodenforschung BfB (heute: Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe) die Endlagerung in Steinsalzformationen. 1964 schlägt die BfB im Rahmen des von der Europäischen Atomgemeinschaft EURATOM geförderten Kavernenprojektes zur Untersuchung von Endlagertechniken für schwach- bis mittelradioaktiven Abfall vier Standorte vor. Erste Wahl für das Kavernenprojekt war der Salzstock Bunde / Jemgum. 1967 wurden die Aktivitäten am Standort Bunde aufgegeben, weil es nicht zur Einigung mit dem Sohn des Bundestagsabgeordneten und Grundstücksbesitzers Enno Conring kam, und der Kreistag Leer das Projekt einstimmig ablehnte. Auf Grund der Grenznähe zu den Niederlanden kamen damals auch immer wieder Gerüchte auf, dass nicht nur Abfälle aus Deutschland in der Kaverne endgelagert werden sollten. Die Bemühungen um das Kavernenprojekt münden letztlich in den Erwerb der Asse durch den Bund und den Beginn des sog. Versuchsprogramms zur Einlagerung von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen in dem ehemaligen Salzgewinnungsbergwerk. Heute muss der Bund über den Haushalt des Forschungsministeriums jährlich Millionenbeträge für die Stilllegung der Asse ausgeben. Ob eine sichere Verwahrung der dort eingelagerten 45.000 m3 Abfall gelingt, ist ungewiss.

Standortsuche für ein Nukleares Entsorgungszentrum (NEZ) ab 1972

1972 erfolgte ein erneuter Anlauf. Im Auftrag des Bundesministeriums für Forschung und Technologie beginnt eine deutschlandweite Suche nach einem Standort für ein Nukleares Entsorgungszentrum (NEZ) mit Wiederaufarbeitung und Endlagerung an einem Standort. Größe und Teufenlage der Salzstöcke sind die wesentlichen Auswahlkriterien für die Endlagerung. Drei Salzstöcke in Niedersachsen - Wahn, Weesen-Lutterloh und Lichtenhorst - werden vorgeschlagen. Vorgesehen war die vergleichende Erkundung aller drei Standorte - ein, so meine ich, richtiger wissenschaftlicher Ansatz bei der Komplexität der zu lösenden Probleme. Am Standort Börger mit dem Salzstock Wahn wurde zuerst mit umfangreichen Untersuchungen begonnen. Eine Landwirtin, die sich über den Hintergrund der Bohrungen getäuscht fühlte, tritt mit ihrem Protest ein Lawine los. Die Proteste an den Standorten für das NEZ werden zu Kristallisationspunkten der Anti-AKW-Bewegung. Wunder Punkt in der Entsorgungspolitik des Bundes und damit Schwachpunkt in der Nutzung der Kernenergie war, dass bei der Genehmigung von Kernkraftwerken vor 1980 zwar auf die Bedeutung einer von Öllieferungen unabhängigen Energieversorgung in der Rechtfertigung hingewiesen wird, dass aber die Entsorgungsvorsorge nicht Genehmigungsvoraussetzung für den Betrieb von Kernkraftwerken war. Auf Grund der Bürgerproteste an den vom Bund ausgewählten Standorten kommen am 10. August 1976 der Bundesforschungsminister Hans Matthöfer (SPD) und der niedersächsische Finanz- und Wirtschaftsminister Walter Leisler Kiep (CDU) überein, die Erkundungsarbeiten einzustellen, allerdings vor dem Hintergrund der 1975 gegebenen Zusage von Ministerpräsident Alfred Kubel (SPD), dass ein Nukleares Entsorgungszentrum in Niedersachsen realisiert wird.

Entscheidung für den Standort Gorleben (1977)

Im Mai / Juni 1976 wird eine interministerielle Arbeitsgruppe unter Federführung des niedersächsischen Wirtschaftsministerium für die Standortauswahl eingesetzt. Am 22. Februar 1977 entscheidet sich die niedersächsische Landesregierung (CDU) für den Standort Gorleben. Geologische Überlegungen spielten bei der damaligen Standortauswahl eine untergeordnete Rolle. Überrascht von der Entscheidung sprechen sich die Samtgemeinden Gartow und Lüchow gegen das Nukleare Entsorgungszentrum in Gorleben aus. Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg organisiert Großdemonstrationen gegen die Standortentscheidung. Trotzdem akzeptiert die Bundesregierung den Standort Gorleben im Juli 1977. Am 28. Juli 1977 beantragt die Physikalisch Technische Bundesanstalt die Einleitung des atomrechtlichen Planfeststellungsverfahrens für die Anlagen des Bundes zur Sicherstellung und zur Endlagerung radioaktiver Abfälle im Rahmen des am Standort Gorleben geplanten Entsorgungszentrums.

Integriertes Entsorgungskonzept - bis heute nicht verwirklicht

Vom 28. März bis 3. April 1979 veranstaltet die niedersächsische Landesregierung ein Symposium zur grundsätzlichen sicherheitstechnischen Realisierbarkeit eines NEZ (Rede-Gegenrede). Nach Auswertung der Ergebnisse des Symposiums stellt der damalige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht am 16. Mai 1979 fest, dass das Kernstück des Nationalen Entsorgungszentrums zwar sicherheitstechnisch realisierbar, aber politisch nicht durchsetzbar sei. Die Umorientierung führt zum sog. Integrierten Entsorgungskonzept, mit räumlich voneinander getrennten Anlagen. Aber auch dieses Konzept, das Grundlage für den viel zitierten 1979er Beschluss der Regierungschefs von Bund und Ländern war, ist gescheitert. Alle wesentlichen Elemente wurden weder an einem noch an mehreren Standorten verwirklicht. Der sog. Kernbrennstoffkreislauf wurde nie realisiert. Der Schnelle Brüter in Kalkar, die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf blieben trotz Bundesregierungen, die hinter diesen Projekten standen, milliardenschwere Fehlinvestitionen. Das Endlager im Salzstock Gorleben, das nach diesem Beschluss Ende der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts betriebsbereit sein sollte, ist weit davon entfernt.

Wo stehen wir bei der Endlagerung heute?

Forschungsbergwerk Asse

Wo stehen wir bei der Endlagerung heute? Das schon erwähnte erste Forschungsbergwerk Asse (Niedersachsen) mit 45 000 m3 schwach- und mittelradioaktiven Abfällen kämpft mit Zuflüssen und droht abzusaufen.

Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben

Dem einzigen in Deutschland betriebenen Endlager in Morsleben (ERAM / Sachsen-Anhalt) mit über 36 000 m3 Abfällen der gleichen Kategorie droht das mechanische Versagen von Teilen des Salzstocks. Das ERAM war nach dem Ende der DDR der Bundesrepublik zugefallen und wurde nach intensiver Nutzung auch für Abfälle aus den alten Bundesländern erst nach dem Regierungswechsel 1998 endgültig geschlossen.

Schacht Konrad

Das ehemalige Eisenerzbergwerk Schacht Konrad (Niedersachsen) ist 2002 als Endlager für nicht wesentlich wärmeentwickelnde Abfälle nach über zwanzigjährigem Verfahren vom Niedersächsischen Umweltministerium genehmigt worden. Der Bundesumweltminister hat die Mengenbegrenzung auf 300 000 m3 und damit die Beschränkung auf die in Deutschland anfallenden Abfälle im Planfeststellungsbeschluss unterstützt. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat den Antrag auf Sofortvollzug zurückgenommen, wie dies in der Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Energieversorgungsunternehmen festgelegt wurde. Damit haben die derzeit fünf anhängigen Klagen aufschiebende Wirkung. Vor einer gerichtlichen Entscheidung sollen keine Fakten geschaffen und die Errichtung des Endlagers für diese Zeit ausgesetzt werden.

Erkundung des Salzstocks Gorleben

Ebenfalls auf der Grundlage der Vereinbarung wird die Erkundung des Salzstocks Gorleben (Niedersachsen), der für die Lagerung hochradioaktiver bzw. wärmeentwickelnder Abfälle untersucht wurde, bis zu 10 Jahre durch ein Moratorium unterbrochen, um grundsätzliche Sicherheitsfragen zu beantworten, zu denen die weitere Erkundung keinen Beitrag leisten kann.

Neues Entsorgungskonzept

Zusammen mit der Zwischenlagerung sowohl der nicht wärmeentwickelnden Abfälle unter anderem in Landessammelstellen und Lagern der Energieversorgungsunternehmen als auch der abgebrannten Brennelemente und hochradioaktiven Abfälle aus der Wiederaufarbeitung in zentralen und dezentralen Zwischenlagern ergibt sich der notwendige zeitliche Spielraum für die Festlegung eines neuen Entsorgungskonzepts. Bevor ich darauf näher eingehe - und auch das im Wesentlichen beschränkt auf die Endlagersuche - kurz ein paar Worte zum Umfang des Problems.

Festlegung von Reststrommengen für Atomkraftwerke (2002)

Mit der 2002 auch im Atomgesetz festgelegten geordneten Beendigung der Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung durch Festlegung von Reststrommengen für die einzelnen Atomkraftwerke wird erstmals seit Beginn des atomaren Zeitalters in der Bundesrepublik die zu entsorgende Menge des radioaktiven Abfalls begrenzt und damit die Entsorgung besser planbar. Bis zum geplanten Ende der nuklearen Stromerzeugung fallen in der Bundesrepublik insgesamt ca. 16 000 Tonnen abgebrannte Brennelemente an. Dazu kommen bis zum Jahr 2080 insgesamt ca. 300 000 m3 schwach- und mittelradioaktive Abfälle.

Schaffung von Zwischenlagerkapazitätenan den Kraftwerksstandorten

Die die Bundesregierung tragenden Parteien haben 1998 in ihrer Koalitionsvereinbarung festgestellt, dass nach dem inhaltlichen Scheitern des Entsorgungskonzepts für die Endlagerung aller Arten radioaktiver Abfälle ein einziges Endlager in tiefen geologischen Schichten ausreicht und jeder Betreiber eines Atomkraftwerks am Kraftwerksstandort Zwischenlagerkapazitäten zu schaffen hat, die nicht zum Zweck der Endlagerung genutzt werden dürfen.

Schrittweise Verwirklichung des neuen Entsorgungskonzepts

Seit dem wird schrittweise das neue Entsorgungskonzept verwirklicht. Wesentliche Elemente sind die

Für 12 Kernkraftwerksstandorte laufen beim Bundesamt für Strahlenschutz Genehmigungsverfahren für dezentrale Zwischenlager. Für die Standorte Lingen und Grohnde wurden erste Genehmigungen erteilt. Und - hier von besonderer Bedeutung - das Verfahren der Endlagersuche wurde vom Kopf auf die Füße gestellt.

"Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AkEnd)" (1999)

1999 hat Bundesumweltminister Trittin im Rahmen der neuen Entsorgungspolitik den "Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AkEnd)" eingerichtet.

Auftrag des AkEnd

Der Arbeitskreis hatte den Auftrag, ein Verfahren und Kriterien für die Suche und Auswahl eines bestmöglichen Standortes zur sicheren Endlagerung aller Arten radioaktiver Abfälle in Deutschland zu entwickeln. Er hatte nicht die Aufgabe, das Auswahlverfahren durchzuführen oder gar Standorte auszuwählen und zu bewerten.

Das Bundesumweltministerium hat bei der Berufung des Arbeitskreises darauf geachtet, dass ein breites Spektrum der in der Fachwelt zum Endlagerung vertretenen Meinungen und Kenntnisse vertreten ist und im Dezember 2002 seinen 260 Seiten starken Abschlussbericht der sog. Phase I dem Bundesumweltminister übergeben und damit seine Arbeit beendet hat.

Ergebnisse des AkEnd

Die Ergebnisse des Arbeitskreises werden gegenwärtig ausgewertet. Bundesminister Trittin würdigte, dass damit zum ersten Mal ein systematischer Ansatz für die Auswahl eines Endlagers vorliege, der nicht nur auf technische, sondern auch auf sozialwissenschaftliche Aspekte abstelle. Über die Einzelheiten der Ergebnisse wird Herr Prof. Jentzsch berichten, der dem AkEnd angehörte. Ich möchte deshalb nur kursorisch auf einige Elemente eingehen. Im nächsten Schritt, der Phase II soll nach dem Willen des BMU über den Vorschlag des AkEnd in den nächsten beiden Jahren eine breite öffentliche Diskussion stattfinden. Die notwendigen organisatorischen Voraussetzungen - etwa die Bildung einer Verhandlungsgruppe mit breiter gesellschaftlicher Repräsentanz - sollen im ersten Quartal dieses Jahres geschaffen werden. Nach dem öffentlichen Diskurs wird es eine verbindliche politische und rechtliche Festlegung des Auswahlverfahrens geben. Parallel werden die Sicherheitskriterien für die Endlagerung radioaktiver Abfälle in einem Bergwerk weiterentwickelt. Erst nach Festlegung des Verfahrens beginnt die Standortsuche (Phase III).

Was heißt es, heute Verantwortung für die Entsorgung zu übernehmen?

Das heißt vor allem bei Einhaltung der wesentlichen Vorschläge des AkEnd die Lösung der Probleme im eigenen Land zügig anzugehen und sie nicht auf spätere Generationen oder gar in andere Länder abzuschieben.

Interessenslage der Industrie

Mit Inkrafttreten der Novelle des Atomgesetzes von 2002 ist die Zwischenlagerung auch rechtlich als Entsorgungsvorsorgenachweis anerkannt. Auf die Forderung nach Fortschritten bei der Endlagerung als Bestandteil des Entsorgungsvorsorgenachweises wurde in Hinblick auf die Begrenzung der Laufzeiten der Anlagen verzichtet. Damit wird sich die Interessenslage der Industrie deutlich verschieben. Waren bisher Fortschritte in der Endlagerfrage für den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke gefordert, ist die Lösung der Endlagerung nun vom Betrieb künftig weitgehend entkoppelt. Die Industrie könnte versucht sein, die Lösung des Problems auf die lange Bank zu schieben und wirtschaftlich so billig wie möglich zu realisieren.

Gefahr: Schwinden des gesellschaftlichen und politischen Interesses

Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass der Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie in der Gesellschaft gleichgesetzt wird mit der vollständigen Lösung der damit verbundenen Probleme und die Lösung der Endlagerfrage verschoben oder verdrängt wird. Quer durch alle politischen Parteien wird die Versuchung groß sein, notwendige regionale Konflikte zur Lösung des nationalen Atommüllproblems zu vermeiden, in dem eine zeitliche oder räumliche Verschiebung propagiert wird. Mit dem Schwinden des gesellschaftlichen und politischen Interesses wird es für heutige und künftige Entscheidungsträger zur besonderen Herausforderung, ein Endlager in Deutschland auf dem bestmöglichen Niveau der Sicherheit und des Strahlenschutzes zu realisieren. Dies sollte - wie vorgesehen - bis 2030 in zeitlicher Nähe zum Ende der Atomenergienutzung erfolgen.

Richtlinie des Rates zur Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle

Auf den ersten Blick verspricht somit der jüngste Entwurf der EU-Kommissarin de Palacio für eine Richtlinie des Rates zur Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle durch den dabei gesetzten Zeitrahmen Unterstützung für die zügige Lösung der Entsorgung. Es wird die Erteilung der Genehmigung für die Erschließung von Endlagern spätestens im Jahr 2008 gefordert, die Erteilung der Genehmigung für den Betrieb von Endlagern, die hochaktive und langlebige Abfälle enthalten, spätestens im Jahr 2018.

Die Endlagerprogramme in den Ländern mit hoher Kernenergienutzung und großen Mengen abgebrannter Brennelemente sprechen aber eine andere Sprache. In Frankreich steht erst im Jahr 2006 eine Parlamentsentscheidung über das weitere Vorgehen an. In Spanien ist für das Jahr 2010 die Einrichtung einer zentralen Lagerung abgebrannter Brennelemente vorgesehen. Erst zu diesem Zeitpunkt soll eine Entscheidung über die zu verfolgende Entsorgungsstrategie gefällt werden. Lediglich in Schweden und Finnland wäre der Zeitplan der EU realisierbar. In Deutschland nur dann, wenn eine Erkundung in Gorleben ohne Wenn und Aber vorangetrieben würde und mit einem positiven Ergebnis abgeschlossen werden könnte.

Vor dem Hintergrund des Teils des Richtlinienvorschlages, der die Ausfuhr radioaktiver Abfälle in andere Mitgliedstaaten oder Drittländern betrifft, ist somit die Frage nicht unberechtigt, ob mit der Richtlinie einer außereuropäischen Lösung der Endlagerung Vorschub geleistet werden soll.

Schon einer europäischen Lösung widerspricht die Bundesregierung energisch.

Entsorgung muss an nationalen Grenzen enden

Der Weg der Entsorgung muss an den nationalen Grenzen enden. Wer über Internationalisierung redet, vergisst allzu leicht, dass dies nicht nur Export, sondern auch den Import von Abfällen bedeuten kann. Ich habe erhebliche Zweifel, ob der Vorschlag der Kommission mit seinen unrealistisch kurzen Fristen den eigenen Ansprüchen der Sicherheit und Transparenz gerecht wird. Ich wage sogar die These, dass mit der Öffnung der Grenzen für radioaktive Abfälle in großem Stil die Akzeptanz für jedes Endlager in Europa zunichte gemacht wird. Das Beispiel Finnland zeigt, dass die Zustimmung der Bevölkerung zu dem dort geplanten Endlager ausdrücklich an die Beschränkung auf nationale Abfälle gekoppelt ist. Und wie schon erwähnt, ist die Akzeptanz in einem demokratischen Gemeinwesen ein wesentliches Element der Endlagersuche. Nicht ohne Grund ist z.B. in Frankreich und Schweden, wo die Endlagerung vergleichsweise weit fortgeschritten ist, die Lagerung der Abfälle ebenfalls auf die nationalen Ursprungs begrenzt.

Internationaler Standard: Vergleichende Untersuchung von Standorten

Mit dem Weg einer vergleichenden Untersuchung von Standorten, wie er in diesen Ländern gegangen wird, und in Frankreich mit der vergleichenden Untersuchung von zwei Standorten in unterschiedlichen Gesteinsarten sogar gesetzlich vorgeschrieben ist, ist ein internationaler Standard gesetzt, hinter den Deutschland bei der Lösung der Entsorgungsfrage nicht zurückfallen darf.

Akzeptanz für Endlagersuche erfordert Begrenzung der anfallenden Abfallmenge

Die Projekte Gorleben und Konrad haben in der Vergangenheit den Neuanfang in der Endlagersuche belastet. Mit den eingeschlagenen Wegen der unabhängigen Kriterienformulierung und der Beteiligung der Öffentlichkeit wurden diese Belastungen minimiert. Deshalb ist es umso notwendiger, diesen neuen Prozess mit dem nötigen Schwung zu betreiben. Die notwendige Akzeptanz zur Mitarbeit bei der Lösung dieses großen Problems wird man allerdings nur erreichen können, wenn dieser Prozess auch eng mit dem Ausstieg verknüpft ist und damit die anfallende Abfallmenge begrenzt bleibt. Wenn die EU-Energiekommissarin argumentiert, dass nur die zügige Lösung der Entsorgung Akzeptanz für die weitere Nutzung der Kernenergie schaffe, frage ich mich, ob sie damit ebenso wie mit ihrem Zeitplan letztlich nicht vorhandene Standorte kaputt redet, zu einer Senkung der Sicherheitskriterien und der gesellschaftlichen Akzeptanz für Endlager beiträgt oder - wie schon erwähnt - gar einer internationalen - im Wortsinn - billigen "Lösung" in Osteuropa den Weg bahnt.

Gesicherte Finanzierung

Von wesentlicher Bedeutung sowohl für die Neugestaltung der Endlagersuche als auch für größtmögliche Sicherheit und den Strahlenschutz bei der Endlagerung ist eine gesicherte Finanzierung. Als Leiter der für die Errichtung und den Betrieb zuständigen Behörde ist mir dies ein besonderes Anliegen, damit am Ende die Kosten der Endlagerung von den Verursachern und nicht von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern beglichen werden müssen oder gar fehlende Mittel zur Reduzierung der Sicherheitsanforderungen führen. Lassen Sie mich auch die Finanzierungsthematik mit einer kurzen Darstellung der gegenwärtigen Situation und den damit verbundenen Problemen beginnen, bevor ich aus meiner Sicht Lösungsmöglichkeiten skizziere.

Endlagervorausleistungen und steuerfreie Rückstellungen

Die Endlagerung radioaktiver Abfälle ist eine Zukunftsaufgabe von großer Bedeutung, die in Verantwortung des Staates und der Betreiber der Atomkraftwerke gelöst werden muss. Dabei sind die Kosten der Endlagerung von den wirtschaftlichen Nutznießern, den Energieversorgungsunternehmen, zu tragen. Die bisher vom Bund betriebenen Projekte Konrad und Gorleben werden im Wesentlichen über Endlagervorausleistungen der Kraftwerks-Betreiber finanziert. Bis Ende 2002 sind in Gorleben Kosten von ca. 1,3 Mrd. Euro und für Konrad 0,8 Mrd. Euro angefallen. Für die gesamte Entsorgung (Stilllegung und Rückbau der Kraftwerke, Transporte, Zwischenlagerung und Endlagerung) werden von den Unternehmen steuerfreie Rückstellungen gebildet, die Ende 2002 ca. 30 bis 35 Milliarden Euro ausmachten.

Regelung der Rückstellungen ist mit Problemen verbunden

Mit der bisherigen Regelung der Rückstellungen sind eine Reihe von Problemen verbunden. Von besonderer Bedeutung ist, dass die den Rückstellungen entsprechenden Vermögenswerte der Unternehmen keinen besonderen Bindungen unterliegen. Insbesondere sind sie nicht insolvenzsicher. Vor dem Hintergrund des mittlerweile liberalisierten europäischen Energiemarktes und Aufsehen erregender Unternehmenskrisen, wie z.B. bei Enron in den USA, ist allein durch die Bildung von Rückstellungen die künftige Finanzierungssicherheit bei der Endlagerung nicht mehr gegeben. Es muss daher im Interesse der Gesellschaft liegen, dass eine andere, langfristig sichere Finanzierungsvorsorge erfolgt.

Wettbewerbsverzerrungen durch bisherige Regelungen und EURATOM-Beihilfen

Gegen die bisherige Regelung - wie auch gegen im Rahmen von EURATOM gewährte Beihilfen - werden auch Wettbewerbsverzerrungen sowohl innerhalb Deutschlands als auch gegenüber ausländischen Unternehmen angeführt. Kleinere, nicht in der Kernenergie engagierte Unternehmen haben beispielsweise ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof wegen wettbewerbsverfälschender Beihilfen angestrengt. Die kernkraftwerkbetreibenden Unternehmen nutzen die günstigen Möglichkeiten der Innenfinanzierung z. B. zu einer offensiven Expansionsstrategie in andere Branchen oder Beteiligungen. Schließlich kann das Interesse der Unternehmen an der weiteren Nutzung dieser Möglichkeiten kontraproduktiv in Hinblick auf eine zügige Realisierung der Endlagerung genauso wie auf eine vorzeitige Stilllegung weniger sicherer oder ansonsten nicht mehr rentabler älterer Kraftwerke sein.

Finanzierung von Endlagerprojekten, Verfahrensfragen und Standortsuche

In Folge der Neugestaltung der Endlagersuche ist neben der zu gewährleistenden Finanzierungssicherheit für die Endlagerprojekte selbst auch die Festlegung des Verfahrens und die Standortsuche zu finanzieren. Dazu will die Bundesregierung einen konsensualen Weg mit den Unternehmen beschreiten. "Zur Frage der Finanzierung der Erkundungsarbeiten strebt die Bundesregierung eine Verständigung mit den Energieversorgungsunternehmen an, die deren Verantwortung als Abfallverursacher gerecht wird", heißt es dazu im Koalitionsvertrag von 2002. Sollte es zu keiner Einigung kommen, sind nach meiner Auffassung die Finanzierung wie die anderen Zuständigkeits- und Verfahrensfragen, einschließlich der Standortentscheidung für ein Endlager, gesetzlich zu regeln.

Gewährleistung der Finanzierungssicherheit der Entsorgung

Zur Gewährleistung der Finanzierungssicherheit der Entsorgung - oder zumindest der Endlagerung als Teil der Entsorgung - über die erforderlichen langen Zeiträume bieten sich verschiedene Lösungen an, die sich grob in die Kategorien privatwirtschaftliche oder öffentlich-rechtliche Lösung fassen lassen.

Denkbar ist die Entwicklung privatwirtschaftlicher Lösungen, die so auszugestalten wären, dass die Probleme der jetzigen Rückstellungspraxis, nur auf der Ebene einzelner Unternehmen angesiedelt zu sein, vermieden werden.

Lösungsalternative: Solidarhaftung

Einmal könnte vertraglich oder gesetzlich eine Solidarhaftung eingeführt werden, wie sie bei der Risikovorsorge für die Erfüllung der gesetzlichen Schadensersatzpflichten im Atomgesetz geregelt ist. Im Schadensfall stehen neben der Versicherungswirtschaft auch die Betreiber von Atomkraftwerken für Ersatzleistungen ein, die die Leistungsfähigkeit eines Schaden verursachenden Elektrizitätsversorgungsunternehmens übersteigen. Die Kosten der Endlagerung sind im Gegensatz hierzu allerdings keine Risiken, deren Eintreten unkalkulierbar ist, sondern feststehender Aufwand, der in Zukunft auf alle Fälle anfallen wird. Die erforderlichen Gelder müssen also tatsächlich angesammelt werden. Hierfür ist die Bildung lediglich einer Solidargemeinschaft nicht ausreichend. Die Alternative könnte lauten: privatwirtschaftliche Poollösung.

Lösungsalternativen: privatwirtschaftliche Poollösung und öffentlich-rechtlicher Fond

Wenn eine solche Poollösung dazu führen soll, dass die Einzelunternehmen angehalten werden, ihre Rückstellungen aufzulösen und die Mittel in den Pool einzuzahlen, dann ist der Schritt zur Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Fonds nicht mehr groß. Der Fonds schafft die geforderte Konkurssicherheit der Mittel für die enormen und in der Zukunft liegenden Kosten der Endlagerung. Er entzieht die Verantwortung für die Vermögensverwaltung privater Disposition. Außerdem löst er darüber hinaus auch noch das Problem der mit den enormen steuerfreien Rückstellungen verbundenen Wettbewerbsverzerrungen. Nach meiner persönlichen Auffassung gewährleistet eine solche Fondslösung am besten die gesicherte Finanzierung und damit die erforderliche Sicherheit und den notwendigen Strahlenschutz bei der Realisierung eines Endlagers, in das ab etwa 2030 einige Jahrzehnte eingelagert wird, ehe der Betrieb mit der Stilllegung und dem Verschluss beendet wird.

Lösungen anderer europäischer Länder - das Schweizer Modell

Offen bleiben können beim gegenwärtigen Stand der Diskussion Einzelheiten der von mir präferierten Lösung. Vor einer Entscheidung wären Lösungen anderer europäischer Ländern genauer zu prüfen. So scheint mir das Schweizer Modell eines Fonds nach dem Modell der Kostenlastfreistellung ein verfolgenswerter Ansatz zu sein, der die Unternehmen nicht von der atomrechtlichen Entsorgungsverpflichtung befreit, sondern nur von dem wirtschaftlichen Risiko in Höhe ihrer Einlagen. Gespeist würde ein solcher Fonds durch Zuführungen von den Betreiberunternehmen über die Restlaufzeit der Atomkraftwerke. Dabei ist an eine schrittweise Überführung bisheriger Rückstellungen zu denken, um Liquiditätsengpässe bei den Unternehmen zu vermeiden. An die Effizienz der Verwaltung eines solchen Fonds sind hohe Anforderungen zu stellen.

Diskussion auf europäischer Ebene: Stilllegungsfonds

Welche Chancen hat eine Lösung dieser Art heute? Es gab in der Vergangenheit vereinzelt Vorstöße in diese Richtung. Doch meines Erachtens war zu Zeiten der monopolistischen Stromversorgung die Zeit für eine solche Lösung noch nicht reif. Heute herrschen durch die Liberalisierung des Energiemarktes neue Rahmenbedingungen, die ein Überdenken der alten Lösungen sogar zwingend erfordern. Meine Einschätzung wird bestätigt durch die jüngsten Vorschläge auf EU-Ebene. Die EU-Kommissarin de Palacio hat in ihrem umstrittenen Entwurf für eine Richtlinie des Rates vorgeschlagen, die Mitgliedsstaaten sollten sicherstellen, dass ausreichende Finanzmittel für die Stilllegungsarbeiten jeder kerntechnischen Anlage unter Berücksichtigung ihrer langen Durchführungsdauer in Form von Stilllegungsfonds bereitstehen. Unter Kosten der Stilllegung versteht sie dabei nicht nur die eigentliche Stilllegung, sondern auch die langfristige und sichere Entsorgung aller Arten radioaktiver Abfälle.

Berücksichtigung internationaler Erfahrungen

Die Diskussion auf europäischer Ebene zeigt, dass - unabhängig davon, ob man diese Fragen auf europäischer Ebene regelt oder in nationaler Verantwortung belässt - nicht nur bei den unmittelbaren technisch-naturwissenschaftlichen Fragen der Sicherheit und des Strahlenschutzes der internationale Stand von Wissenschaft und Technik berücksichtigt werden muss, auch bei der für Sicherheit und Strahlenschutz in der Endlagerung mittelbaren Frage der Finanzierung sind die internationalen Erfahrungen zu berücksichtigen.

Die Bundesregierung geht den Weg, die Finanzierung der Entsorgung in Verhandlungen mit den Betreibern der Kernkraftwerke auf nationaler Ebene dauerhaft sicher zu stellen.

Weichenstellung: Öffnung der Standortsuche

Wir befinden uns in der Frage der Endlagerung radioaktiver Abfälle vor einer entscheidenden Weichenstellung. Alle bekennen sich zumindest verbal zur Verantwortung für eine sichere Entsorgung hochradioaktiver Abfälle. Der eine Weg ist die ausschließliche Verfolgung des Endlagerprojekts Gorleben ohne Berücksichtigung der grundlegenden Kritik an der Auswahl und Umsetzung des Projekts. Der andere Weg, der Öffnung der Standortsuche macht den Versuch, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und reflektiert den Stand der internationalen Diskussion nicht nur aus naturwissenschaftlicher, sondern auch aus gesellschaftspolitischer Sicht. Eine Erfolgsgarantie gibt es bei keinem der beiden Wege. Vor dem Hintergrund der internationalen Erfahrungen und den meines Erachtens selbstverständlichen Grundprinzipien einer demokratischen Gesellschaft hat sich die Bundesregierung für den zweiten Weg entschlossen.

Ein dritter, nämlich die Verschiebung unseres Mülls ins Ausland, verbietet sich nicht nur aus ethischen Gründen, sondern auch aus Gründen des Strahlenschutzes und der Sicherheit.

Stand: 24.08.2009