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Abteilungsleiterin Rüffer im SPIEGEL-Interview über den AKW-Rückbau

Mareike Rüffer – Leiterin Abteilung Nukleare Sicherheit Mareike Rüffer – Leiterin Abteilung Nukleare SicherheitQuelle: BASE

In Deutschland müssen 33 stillgelegte Reaktoren zerlegt werden. BASE-Abteilungsleiterin Mareike Rüffer erläutert im SPIEGEL-Interview die Herausforderungen: „In vielen AKW gibt es versteckte Kontaminationen, also Stellen, an die man schwer herankommt.“

SPIEGEL: Frau Rüffer, vor einem Jahr sind in Deutschland die letzten drei Atomkraftwerke abgeschaltet worden. Jetzt müssen sie abgerissen werden, genau wie 30 weitere Reaktoren. Wie lange dauert das?

Rüffer: Ungefähr 15 bis 20 Jahre. Deutschland hat bereits seit den Siebzigerjahren Erfahrungen damit gesammelt. Trotzdem ist es eine Herausforderung, so viele Reaktoren gleichzeitig abzubauen.

SPIEGEL: Was ist so kompliziert?

Rüffer: Die Reaktoren müssen von innen her zerlegt werden. Dabei müssen die höchsten Sicherheitsstandards für Arbeiter und Anwohner eingehalten, muss bei jedem einzelnen Bauteil die Strahlung gemessen werden. Die hoch radioaktiven Brennelemente werden als Erstes entfernt, danach schwach- und mittelradioaktive Abfälle in sogenannte Gebinde verpackt und zwischengelagert. In vielen AKW gibt es versteckte Kontaminationen, also Stellen, an die man schwer herankommt. AKW sind nicht dafür gebaut worden, um sie auf einfache Art und Weise zurückzubauen. Erst in den vergangenen Jahren haben die Energiekonzerne begonnen, schon beim Aufbau verstärkt den späteren Abbau mitzudenken.

Ein im Schutzanzug gekleideter Mann bedient eine Maschine zum thermischen Zerlegen eines Bauteils Thermisches Zerlegen eines BauteilsThermisches Zerlegen eines Bauteils in der Zentralen Aktiven Werkstatt Quelle: EWN GmbH

SPIEGEL: Welche Schwierigkeiten machen die alten Gebäude?

Rüffer: Die Gänge, Räume und Treppen wurden damals um den Reaktorkern herumgebaut. Jetzt müssen Arbeiter das kontaminierte Material durch enge Treppenhäuser von innen nach außen bringen. Einzelne Meiler in Deutschland sind so ungünstig konstruiert, dass mitunter ein Loch in die Reaktorhülle geschlagen werden muss, um Schleusen zu bauen und große Anlagenteile entsorgen zu können.

SPIEGEL: Welche Risiken sehen Sie noch?

Rüffer: Je länger der Abbau dauert, desto mehr Fachkräfte werden fehlen. Bereits jetzt studiert kaum noch jemand Kerntechnik. Viele Experten, die AKW mit in Betrieb genommen haben, gehen gemeinsam mit den Anlagen in Rente. Damit geht auch ihr Wissen verloren. Wir brauchen dringend mehr junge Menschen, die sich für diese spannende Aufgabe interessieren.

SPIEGEL: Ein so komplexer Abbau ist teuer. Wer bezahlt ihn?

Rüffer: Die Energiekonzerne haben aktuell rund 20 Milliarden Euro eingeplant. Kommt etwas dazwischen, steigen die Kosten. Die Firmen werden deswegen alles tun, um den Prozess schnell durchzuführen. Auf keinen Fall darf aber bei der Sicherheit gespart werden.

Ein im Schutzanzug gekleideter Mann bedient eine Maschine zur Gebäudedekontamination Gebäudedekontamination durch OberflächenabtragArbeiten zur Gebäudedekontamination durch Oberflächenabtrag Quelle: EWN GmbH

SPIEGEL: Was könnte im schlimmsten Fall passieren?

Rüffer: Radioaktivität könnte in die Umwelt gelangen, wenn kontaminierte Bereiche unsachgemäß abgebaut, beschädigt oder unbeabsichtigt freigegeben werden. Deshalb müssen die Betreiber von den Behörden laufend überwacht werden.

SPIEGEL: Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaft reichen diese Rücklagen nicht aus. Wenn es zu lange dauert – müssen dann am Ende die Steuerzahler einspringen und die Mehrkosten zahlen?

Rüffer: Es gibt bereits einen weiteren Fonds von 24 Milliarden Euro für die Zwischen- und Endlagerung. Der Steuerzahler müsste Mehrkosten tragen, wenn das nicht reicht. Das kann aber derzeit niemand belastbar einschätzen.

SPIEGEL: Laut dem World Nuclear Industry Status Report sind weltweit aktuell 213 Reaktoren abgeschaltet, bisher werden aber nur wenige fachgerecht entsorgt. Hat die Welt ein Rückbauproblem?

Rüffer: Einige Länder lassen die Reaktoren stehen und warten, bis die Radioaktivität langsam abklingt. »Sicherer Einschluss« wird dieses Verfahren genannt. Wenn das Reaktorgelände vor äußeren Einflüssen geschützt wird, droht dabei auch zunächst keine Gefahr. Ein Reaktor ist dafür ausgelegt, Strahlung in sich zu halten und nach außen abzuschirmen. Trotzdem hat dieser Ansatz Nachteile. Experten, die die Anlage kennen, sind irgendwann nicht mehr da. Zudem kann sich die politische Situation ändern. Deshalb wird in Deutschland der direkte Abbau der Anlagen verfolgt.

SPIEGEL: Warum setzen Länder überhaupt auf den »sicheren Einschluss« und verschleppen den Rückbau?

Rüffer: Weil sie nicht wissen, wie sie mit den alten AKW umgehen sollen. In Großbritannien etwa gibt es gasgekühlte Reaktoren, in denen Grafit verarbeitet wurde. Leider ist Grafit brennbar und staubt, auch die Zusammensetzung der radioaktiven Stoffe ist eine andere als bei den deutschen Leichtwasserreaktoren. Wenn die radioaktive Strahlung in das Material eingedrungen ist, wird es extrem schwierig, die Bauteile zu entsorgen, es wäre riskant für die Arbeiter. Deshalb setzt das Land seit Jahrzehnten auf den »sicheren Einschluss« und baut die AKW nicht zurück.

SPIEGEL: Deutschland ist aus der Atomkraft ausgestiegen, viele Länder überlegen derzeit, in die Technologie einzusteigen. Was halten Sie für vernünftig?

Rüffer: Verglichen mit anderen Energieformen lohnt sich Atomkraft nicht. Von den neuen Meilern in Europa wird kaum einer pünktlich und wie geplant fertig. Die Kosten schießen dadurch in die Höhe. Auch die Mittel für den Rückbau und die Endlagerung sind erheblich und werden nicht immer berücksichtigt. Atomenergie funktioniert insgesamt nur, wenn sie staatlich und gesellschaftlich stark unterstützt wird. Und am Ende trägt die Allgemeinheit immer einen großen Teil der Kosten. Es ist eine politische Entscheidung, ob eine Gesellschaft das auf sich nehmen will.

Ein Interview von Susanne Götze

Erschienen in DER SPIEGEL 16/2024 sowie auf Spiegel online

Stand: 18.04.2024