Navigation und Service

Stellungnahme des BASE zur Rolle der Atomkraft in der aktuellen Diskussion um die EU-Taxonomie

Flaggen der Europäischen Union wehen im Wind vor dem Berlaymont-Gebäude der Europäischen Kommission in Brüssel Flaggen der Europäischen UnionQuelle: pa/dpa | Arne Immanuel Bänsch

Die EU-Kommission hat am 31.12.2021 einen Vorschlag zur Klassifizierung der Atomenergie gemäß der Taxonomie-Verordnung der EU vorgelegt. Darin stuft sie den Bau neuer, bis 2045 genehmigter Atomkraftwerke sowie die Laufzeitverlängerung alter Kraftwerke als nachhaltige Wirtschaftstätigkeit ein. Auch sollen Forschungs- und Entwicklungsprojekte bzgl. sog. fortschrittlicher Technologien im Bezug auf die Atomenergienutzung von der Taxonomie-Verordnung eingeschlossen werden.

Als Bedingungen sieht der Vorschlag im Wesentlichen vor, dass international geltendes Sicherheitsregelwerk eingehalten, ein Fonds für die Finanzierung der Entsorgung eingerichtet, sowie Pläne für den Betrieb eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle ab 2050 vorliegen sollen.

Die Kommission stützt sich vor allem auf einen Bericht des Joint Research Centres (JRC) der EU vom März 2021. Das BASE hatte diesen Bericht detailliert analysiert und in einer Fachstellungnahme vom Juni 2021 fachlich bewertet.

Insgesamt kam das BASE zu dem Schluss, dass der Bericht des JRC die Auswirkungen der Nutzung von Atomenergie unvollständig, methodisch unzulänglich und in stark vereinfachender Weise darstellt. Diese Mängel setzen sich im Vorschlag der EU-Kommission vom 31.12.2021 fort.

„Aus fachlicher Sicht ist die Einordnung von Atomkraft als nachhaltige Form der Energieerzeugung nicht haltbar“, erklärt BASE-Präsident Wolfram König. „Die Atomenergie ist eine Hochrisikotechnologie, erzeugt Abfälle und birgt die Gefahr des Missbrauchs von radioaktivem Material für terroristische und kriegerische Zwecke. Kommenden Generationen bürden wir damit erhebliche Lasten auf, die auch mit dem Anspruch der Generationengerechtigkeit nicht in Einklang zu bringen sind.“

Aus fachlicher Sicht ist beim aktuellen Entwurf der Kommission insbesondere zu bemängeln:

  • Atomenergie birgt potenziell hohe Risiken im Betrieb: Das aktuelle sicherheitstechnische Regelwerk soll schwere Unfälle möglichst vermeiden und Auswirkungen begrenzen, kann sie jedoch nie ausschließen. So kann es beim Betrieb von Atomkraftwerken durch schwere Unfälle zu erheblichen, grenzüberschreitenden Umweltauswirkungen kommen, insbesondere durch unkontrollierte Freisetzungen radioaktiver Stoffe. Die Folgen können unmittelbare, großflächige Gefährdungen von Leben und Gesundheit innerhalb der Europäischen Union sein, sowie weitreichende ökonomische und psychosoziale Auswirkungen. Die Realisierung des sog. „Restrisikos“ von Atomkraftnutzung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach empirisch gezeigt.

  • Laufzeitverlängerungen existierender Atomkraftwerke, die oftmals für eine Betriebsdauer von 30 bis 40 Jahren konzipiert waren, machen Nachrüstungen erforderlich. Diese sind aufgrund der baulichen Gegebenheiten aber nur bis zu einem begrenzten Umfang möglich. Zudem stellen sich Fragen der Alterung und Versprödung von Materialien und damit ihres langfristigen Verhaltens über den ursprünglichen Auslegungszeitraum hinaus. Fraglich ist daher, in welchem Umfang existierende Anlagen ein vom nationalen Regulator regelmäßig weiterentwickeltes Sicherheitsniveau überhaupt noch erreichen können.

  • In vielen Staaten der europäischen Union ist die Betreiberhaftung stark limitiert. Im Falle schwerer Unfälle mit erheblichem Austritt von Radioaktivität werden die Haftungssummen nicht ausreichen. Das Verursacherprinzips ist damit verletzt.

  • Es bleibt fachlich nicht nachvollziehbar, warum sogenannten „fortschrittlichen Technologien“ von der Taxonomie eingeschlossen werden sollen: Eine Reihe dieser international diskutierten Reaktortypen basiert auf seit Jahrzehnten bekannten Prinzipien, die sich jedoch aus sicherheitstechnischen und/oder kommerziellen Gründen nie durchsetzen konnten. Bei anderen handelt es sich um Konzeptstudien, die bisher nie großtechnisch erprobt wurden und dementsprechend aus sicherheitstechnischer Sicht heute nicht abschließend bewertbar sind. Im Übrigen ist dem BASE kein einziger Konzeptvorschlag neuer Reaktorlinien bekannt, der ein tiefengeologisches Endlager überflüssig machen würde. Die Abfälle einiger neuartiger Reaktorlinien würden sogar neue Probleme bei der Entsorgung schaffen.

  • Nukleare Versorgung: Indem die Kommission den Kraftwerksbetrieb als nachhaltig ansieht, fördert sie indirekt auch den Abbau von Uran - ein endlicher Rohstoff, dessen Gewinnung mit erheblichen Umweltrisiken verbunden ist.

  • Nukleare Entsorgung: Die Frage der Entsorgung hochradioaktiver Abfälle ist 70 Jahre nach Einführung der Technologie weltweit ungelöst: Es müssen tiefengeologische Endlager gebaut, betrieben und verschlossen werden, die einen sicheren Einschluss der radiotoxischen Abfälle für hunderttausende Jahre sicherstellen müssen. Einige ausgewählte Staaten haben ihre Planungen für erste Endlager in den vergangenen Jahren konkretisiert. Es existieren bisher aber noch keine empirischen Betriebserfahrungen für diese Endlager. Selbst im Falle der Inbetriebnahme erster Endlager für hochradioaktive Abfälle sind die standort- und konzeptspezifischen Charakteristika so komplex, dass von ersten Projekten schwerlich auf die Sicherheit anderer nationaler Endlagerprojekte geschlossen werden kann.

  • Die zivile Nutzung von Atomenergie kann technologisch nicht vollständig von der militärischen Nutzung – also dem Bau von Atomwaffen – entkoppelt werden. Das komplexe internationale Sicherungsregime zur Verhinderung von nuklearer Proliferation hat in der Vergangenheit bereits nachweislich versagt. Das Risiko missbräuchlicher Verwendung – sowohl für militärische als auch für terroristische Zwecke – kann insbesondere mit der Förderung sogenannter „fortschrittlicher Technologien“ deutlich steigen.
Stand: 12.01.2022