Navigation und Service

Stellungnahme des BASE-Präsidenten: Eine Frage der Sicherheit

Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung Wolfram KönigWolfram König, Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung Quelle: BASE

Bei der Abwägung für oder gegen einen Weiterbetrieb der AKWs sollten Sicherheitsargumente entscheidend sein. Eine Laufzeitverlängerung wäre auch eine weitere Herausforderung für die Endlagersuche in Deutschland. Der BASE-Präsident Wolfram König äußert sich in einer Stellungnahme zu der aktuellen Debatte.

Der völkerrechtswidrige Krieg Russlands gegen die Ukraine hat in Deutschland die Debattenkultur verändert. Schweres Geschütz wird zunehmend auch in der aktuellen Atomdebatte verbal aufgefahren. Nach einem Jahrzehnt gemeinsamen Ringens um die sichere Abwicklung der Atomtechnologie und deren Hinterlassenschaften ist der Rückzug in alte Schützengräben der Kernkraftbefürworter und Kernkraftgegner sichtbar. Die Wortwahl für die zweifelhafte Wertschätzung des ausgemachten Gegners nähert sich unaufhaltsam einer längst überwunden geglaubten Konfrontationsstellung, die zumindest auf diesem Feld eine klare Freund-Feind-Kennung erlaubte.

Vor der Befürchtung einer nicht ausreichenden Versorgung mit Gas im kommenden Winter werden gleichzeitig die Forderungen nach einem Weiterbetrieb der drei noch am Netz befindlichen Kernkraftwerke lauter. Doch die hierfür notwendige Diskussion über die wirklich vorhandenen Sicherheitsreserven dieser Kraftwerke und des hierfür zu zahlenden gesamtgesellschaftlichen Preises wird nicht selten schon im Ansatz durch den Generalvorwurf der Ideologie unterbunden. Auf der Strecke bleibt zumindest eine auf wissenschaftlich-technische Erkenntnisse beruhenden Risikoabschätzung.

Periodische Sicherheitsüberprüfung unabdingbar für die Sicherheit

Fakt ist, dass alle Beteiligten seit mindestens zehn Jahren ihre Strategien, Investitionen, Personalentwicklungen und Planungen auf die Abschaltung der letzten Kernkraftwerke am Ende dieses Jahres abgestellt haben. Dies betrifft dabei nicht nur die Energieversorgungsunternehmen, sondern auch Sachverständigenorganisationen und Aufsichts- sowie Genehmigungsbehörden. Es stellt sich damit die konkrete Frage, welche Sicherheitsabstriche für den Weiterbetrieb in Kauf genommen werden müssen.

Mit Blick auf das Abschaltdatum wurde den Anlagen zudem eine Sonderregelung an einem Herzstück der Sicherheitskultur zugestanden – die Aussetzung der Periodischen Sicherheitsüberprüfung (kurz: PSÜ). Sie hätte eigentlich 2019 nach Ablauf von 10 Jahren durchgeführt werden müssen. Welche Bedeutung eine derartige Prüfung für die Sicherheit dieser Hochrisikoanlagen hat, können wir mit dem Blick nach Frankreich unmittelbar sehen.

Dort wurde im Rahmen einer PSÜ zunächst in einem Kernkraftwerk eine bis dato nicht entdeckte Korrosion in einem Rohrsystem festgestellt, das bei einem Bruch zu einem Kühlmittelverlust und somit bis hin zu einer Kernschmelze hätte führen können. Dieses durch die PSÜ entdeckte Sicherheitsproblem wurde daraufhin in anderen Reaktoren ebenfalls festgestellt und hat maßgeblich zu dem aktuellen Stillstand von über der Hälfte der französischen Reaktoren beigetragen. Die PSÜ bildet eine international verpflichtende Vorgehensweise zur Gewährleistung einer kontinuierlichen Sicherheitserhöhung. Ein Sicherheitsanspruch, den übrigens auch unsere Nachbarn als Schutz vor möglichen Unfällen in deutschen Anlagen haben.

Sicherheitsprüfung aus guten Gründen in staatlicher Hand

Und noch ein Hinweis – eine derartige seriöse PSÜ dauert auf Seiten des Betreibers bereits rund zwei Jahre, bevor die Aufsichtsbehörde die Prüfung der vom Betreiber eingereichten Unterlagen beginnen kann. Öffentliche Garantieerklärungen der Sicherheit der laufenden und sogar der abgeschalteten Kernkraftwerke durch Vertreter einer Sachverständigenorganisation können diesen grundlegenden und höchstrichterlich bestätigten Rechtsanspruch auf eine dynamische Entwicklung des Sicherheitsniveaus im Falle einer Laufzeitverlängerung jedenfalls nicht ersetzen. Und derartige Erklärungen unterstreichen, wie richtig die Sicherheitsarchitektur in Deutschland aufgestellt ist: Die Feststellung der Erfüllung von Sicherheitsanforderungen durch die Kernkraftwerksbetreiber ist eine abschließende Aufgabe staatlicher Behörden und nicht von privaten Unternehmen mit wirtschaftlichen Interessen.

Unmittelbar in diesem Zusammenhang sei an eine weitere international geforderte Aufgabenteilung erinnert – die behördliche Trennung der energiewirtschaftlichen Interessenswahrung von der Verantwortung für die nukleare Sicherheit. Hierdurch soll verhindert werden, dass Sicherheitsaspekte innerhalb einer Behörde anderen Interessen untergeordnet werden. Gerade vor der laufenden Debatte der Versorgungssicherheit eine nicht unwichtige Verantwortungsverteilung.

Es ist hinlänglich bekannt, dass über einen sogenannten Streckbetrieb von den verbliebenen Anlagen über den nächsten Winter nur ein äußerst begrenzter Beitrag zur Gassubstitution geleistet werden kann. Der hierfür notwendige juristische, finanzielle und organisatorische Aufwand dürfte schon unter Ausblendung der Sicherheitsaspekte nur schwer zu rechtfertigen sein. Der von dem Wirtschaftsministerium initiierte Stresstest soll eine weitere Grundlage für eine erneute politische Bewertung der Versorgungssicherheit liefern. Ein zweiter Aspekt wird die Bewertung einer ernsthaften Laufzeitverlängerung mit der von einigen erhofften Öffnung für eine grundlegende Umkehr des Ausstiegsbeschlusses sein. Doch wie hoch wären die gesamtgesellschaftlichen Kosten hierfür?

Atomausstieg ist die Grundlage für die Endlagersuche

In einem einmaligen historischen Zeitfenster wurde nach der Fukushima-Katastrophe ein Neuanlauf für die Entsorgung der hochgefährlichen radioaktiven Abfälle aus den deutschen Atomkraftwerken gewagt. Kernkraftgegner wie Kernkraftbefürworter haben sich nach der Klärung der Grundsatzfrage zur Kernenergienutzung, dem Atomausstiegsbeschluss im Jahr 2011, auf den Weg gemacht, dieses letzte Kapitel der Atomkraftnutzung in Deutschland gemeinsam zu schreiben. Heute, zehn Jahre später, liegt ein sicherer Endlagerstandort weiterhin in großer Ferne.

In den vergangenen Jahren hat mein Bundesamt seine Verantwortung wahrgenommen, immer wieder den Fortschritt im Verfahren gegenüber dem mit der Standortsuche beauftragten Unternehmen anzumahnen, damit der gesetzlich festgelegte Zeitplan - bis 2031 einen Standort gefunden zu haben – eingehalten wird. Bis zu einem betriebsbereiten Endlager sind dann weitere 20 Jahre anzusetzen. Heute muss ich leider konstatieren, dass ich das Zieldatum 2031 für nicht mehr realistisch halte. Gleichwohl ist es für eine langfristige Sicherheit der nachfolgenden Generationen von zentraler Bedeutung, den Weg zu einem Endlager konsequent zu verfolgen. In dieser Situation Laufzeitverlängerungen zu realisieren, wäre nicht nur eine zusätzliche Hypothek für die Entsorgungsfrage - der mühsam errungene gesellschaftliche Konsens würde grundsätzlich in Frage gestellt werden.

Die über 60 Jahre andauernde friedliche Nutzung der Kernenergie hat in beiden Staaten Deutschlands hochradioaktive Abfälle angehäuft, die in 16 über die Bundesrepublik verteilten Orten in sogenannten Castorbehältern lagern. Sie können zwar für einen begrenzten Zeitraum die Lagersicherheit gewährleisten. Eine dauerhafte Lösung sind sie nicht. Diese Abfälle werden in ca. 1900 Behältern aufbewahrt.

Erneuerbare Energien sind die zukunftsgerichtete Alternative

Welch großes Risikopotential diese Zwischenlager beinhalten, wird durch einen Vergleich deutlich. Die für jeden CASTOR-Behälter genehmigte maximale Gesamtaktivität liegt etwa in der gleichen Größenordnung wie die in Tschernobyl freigesetzte Gesamtaktivität. Und noch etwas hat uns der Krieg in Russland mit Livebildern vor Augen geführt – ein bisher in den Sicherheitsbetrachtungen ausgeschlossener kriegerischer Angriff auf Atomanlagen.

Wollen wir im Anblick vor diesen großen ungelösten Aufgaben, den Hochrisikopotenzialen und nach den jahrzehntelangen Debatten um nachhaltiges Wirtschaften, gesellschaftliche Transformation und Generationengerechtigkeit wirklich die Tür für die Produktion eines der gefährlichsten Abfallstoffe der Menschheit wieder aufstoßen?

Die Alternativen liegen mit den erneuerbaren Energien und der Einsparungspotentialen auf der Hand. Ein zwar anstrengender, aber dafür sicherer Weg in die Zukunft.

Informationen zur Debatte über eine Laufzeitverlängerung für deutsche Atomkraftwerke

Interview mit Dr. Mareike Rüffer zur Laufzeitverlängerungsdebatte

Stand: 28.07.2022